Gründonnerstag:
Was ist da geschehen, liebe Schwestern und Brüder? Wir wissen es – und
fragen doch. Wir wissen: es ist die Stunde des Abschieds; und der
Konflikt um Jesus ist nicht neu. Lange hat er um die Menschen geworben,
um ihre Einsicht, um ihr Herz, damit sie Frieden finden. Sie haben ihm
nicht geglaubt.
Jetzt geht es ums Ganze: Alles ist ihm in die Hand gegeben, heißt
es. Da zeigt Jesus im Kreis seiner Vertrauten noch einmal, auf was es
ankommt – und er tut es mit einer scheinbar harmlosen Geste. Er wäscht
seinen Jüngern die Füße! „Begreift ihr, was ich euch getan habe?"
Begreift ihr? Begreifen wir, liebe Mitchristen? Um was geht es da
eigentlich? Warum ist das alles so dramatisch? Was ist denn das so
Wichtige, dass Jesus alles in die Waagschale wirft? Und warum ist es
für uns so schwer, zu begreifen?
Vor einigen Tagen gab es eine Lesung, auch aus dem Johannesevangelium,
in der Jesus etwas sagt, was ein Schlüssel zum Versehen sein könnte:
"Meine Ehre empfange ich nicht von Menschen. Ich habe erkannt,
dass ihr die Liebe zu Gott nicht in euch habt. Ich bin im Namen meines
Vaters gekommen, und doch lehnt ihr mich ab. Wenn aber ein anderer in
eigenem Namen kommt, dann werdet ihr ihn anerkennen. Wie könnt ihr zum
Glauben kommen, wenn ihr eure Ehre voneinander empfangt, nicht aber die
Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt." (Joh 5,44f)
Meine Ehre empfange ich nicht von Menschen.
Tatsächlich: Es macht die Faszination Jesu aus, dass er seine Ehre
nicht von Menschen empfängt – so kann er sie auch vor Menschen nicht
verlieren. Er ist frei, sich ihnen ganz zuzuwenden, nicht abhängig von
Macht und Ehre; er muss sich vor niemandem beweisen – nicht durch
Großtaten, nicht durch Wohlverhalten, nicht durch große Sprüche, nicht
durch Duckmäuserei, nicht durch faule Kompromisse. Er ist er selbst,
einer, der meint, was er sagt, und dem es um die Sache geht, nicht um
die eigene Person. Genau deshalb ist er für die Menschen ein Segen:
genau deshalb schafft er Raum, wo sich aufatmen lässt, und die Menschen
haben Vertrauen, nicht benutzt zu werden.
Umgekehrt: erleben wir es nicht als widerlich, wenn um Ehre gebuhlt
wird, wie abstoßend das Taktieren sein kann, sich in gutes Licht zu
rücken, um jeden Preis „voneinander Ehre zu empfangen"; bleiben nicht
oft Besonnenheit und Respekt vor dem anderen, das Hinhören auf
Argumente auf der Strecke, schlicht, weil eigenes Rechthaben wichtiger
ist – bis hinein in die hohe Politik. Als ob die Tricks nicht auch
durchschaubar wären, bis hin zur Lächerlichkeit: nur ja obenauf
bleiben, sich nur keine Blöße geben!
Und das alles ist nicht harmlos: wo sich Macht sammelt, kann das
gefährlich werden – besonders dort, wo die eigene Hybris auch noch
religiös begründet wird. Jesus ist genau das zum Schicksal geworden.
Dabei erleben jene, die sich auf ihn einlassen, wie all das
krampfhafte Streben nach eigener Größe eine Sackgasse ist. Jesus steht
für eine ganz andere Lebensqualität: für jene innere Freiheit, die sich
nicht an Vordergründiges bindet (auf was fallen wir nicht alles rein),
sondern sich dort verankert, wo solche Freiheit auch gewährt wird: Die
eigene Ehre und Würde kommt von dem einen Gott, und von sonst
niemandem! Daraus kann die Fähigkeit wachsen zu einer Begegnung unter
Menschen, wo man einander ernst nimmt, wo man sich mit den je eigenen
Talenten ergänzt, wo Frieden wächst, wo man sich eben ohne Angst
zueinander hinunterbeugen kann.
Welch eine befreiende Vision der Welt! Sich nicht um die eigene Ehre kümmern zu müssen.
Aber es ist grotesk: genau deshalb wird Jesus zur Bedrohung. Für jene
nämlich, die niemanden über sich anerkennen, die grundsätzlich das
Sagen haben wollen, die sich selbst zum Herrn aufspielen.
Für sie ist Jesus in der Tat eine Gefahr – weil die Art, wie er lebt,
ihnen den Spiegel vorhält: Du bist nicht der Größte, und deshalb kannst
du dich auch nicht als solcher aufspielen, und auf deine Mitmenschen
herabschauen.
Und täuschen wir uns nicht, solch eine Haltung kann sich ganz subtil
einschleichen. Nicht nur den Großen und Mächtigen gefällt das nicht.
Gefällt es uns so ohne weiteres, was Jesus da mit der Fußwaschung zum
Maßstab macht? Weckt das nicht auch in uns Widerspruch?
Ich mache mich doch nicht zum Deppen! Soll doch der andere kommen,
wenn er was will! Wieso soll ich nachgeben! Ich will mich nicht
verletzlich machen!
All zu leicht wird es als Schwäche ausgelegt, wenn jemand signalisiert:
ich stehe zu Diensten, ich möchte dir gut sein – und dich nicht
benutzen. So kann nur handeln, wer keine Angst um sich selbst hat. So
handelt nur, wer nicht die eigene Ehre sucht.
„Meine Ehre empfange ich nicht von Menschen", deshalb verliere ich
nichts, wenn ich mich zu ihnen hinunterbeuge – das ist die Haltung in
der Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht. Und er lässt keinen Zweifel
aufkommen:
Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr eure Ehre voneinander
empfangt, nicht aber die Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt?
Wer nur auf sich selbst fixiert bleibt, wird nicht zum Glauben kommen –
das heißt, es wird nicht das Vertrauen wachsen können, sich einander
vertrauensvoll zu öffnen, mit allen eigenen Schwächen und Stärken;
vielmehr müssen ständig Fassaden aufgebaut werden.
Nicht zum Glauben kommen, das heißt, die Welt nur selektiv wahrnehmen,
mit dem Filter der eigenen Möglichkeiten und nicht verstehen, dass die
wesentlichen Dinge des Lebens einem geschenkt sind.
Nicht zum Glauben kommen, das heißt im Grunde, verschlossen bleiben,
weil ich mich auf niemanden verlasse, als auf mich selbst. Wer sich so
zum Maßstab aller Dinge macht, der wird über den eigenen Horizont auch
nicht hinauskommen.
Wo Menschen ihre Ehre nur voneinander nehmen, dort werden sie in der
Enge ihrer Begrenztheiten und Verblendetheiten eingesperrt und
letztlich von der Angst um sich selbst bestimmt bleiben.
Die Perspektive Jesu ist eine andere: Meine Ehre empfange ich nicht von Menschen, sondern von dem einen Gott.
Das ist die Vision des Christen:
Nicht in der Sorge um sich selbst leben zu müssen, sondern aus der
Liebe Gottes, deren Maß unauslotbar ist – und die fähig macht, einander
zu dienen.
Begreift ihr, was ich an euch getan habe?
Bernd Franke SJ