St. Michaelskirche München
12. Mai 2002 (7. Sonntag der Osterzeit, Joh 17,3)
Prediger: P. Gerd Haeffner SJ


Das ewige Leben haben


Aus dem langen Evangelium von heute, das genommen ist aus dem sogenannten Hohenpriesterlichen Gebet Christi beim letzten Abendmahl (Joh 17), greifen wir für unsere Betrachtung nur einen einzigen Satz heraus. Es ist die Stelle, an der Jesus spricht: „Das ist das ewige Leben, Dich, den einzigen, wahren Gott zu erkennen" (17,3). – Es sind große, gewichtige Worte. Was bedeuten sie?

Schon gleich am Anfang steht das große Wort „ewiges Leben". Meistens wird dieses Wort vollkommen falsch verstanden. Wir sagen im Alltag manchmal: „Das dauert ja eine Ewigkeit!" und meinen damit eine ziemlich lange Zeit. Oder wir sagen: „Das hat ja ewig und drei Tag gedauert!" und damit meinen wir dasselbe. Mit „Ewigkeit" im gewöhnlichen Sprachgebrauch meinen wir einfach eine endlos lange Zeit.

Aber das ist nicht die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes. Wenn wir bedenken, dass ewiges Leben in erster Linie Gott zukommt, dann kann das ja kein Leben sein, das einfach nur so endlos dahin geht. Das wäre nichts Großes, nichts Göttliches. Die Urbedeutung des Wortes „ewig", im griechischen "aiónios", bedeutet vielmehr: jugendliche Kraft, Frische, die sich hält, die aus ihrer Quelle neu hervorsprudelt.

Der Gegensatz zu ewigem Leben ist nicht ein kurzes Leben sondern ein leeres, ein innerlich unerfülltes, ein bedeutungsloses Leben. Ewiges Leben ist intensiv lebendiges Leben. Gottes Leben ist nicht in der Zeit. Es ist augenblicklich alles da. Wenn wir uns auf das Leben hier auf der Erde beziehen, dann ist intensives, jugendliches, kraftvolles Leben eines, das auch einen Vorrat an Leben hat und deswegen kommt es zu der Bedeutung „langes" Leben.

Aber das ist durchaus nicht das entscheidende. Das göttliche, intensive, erfüllte, absolut sinnvolle und glückliche Leben – darum geht es hier! Vielleicht dürfen wir das manchmal in Augenblicken ahnen, in Augenblicken selbst so ein erfülltes, glückliches, intensives Leben leben, wo wir sagen: Verweile doch, du Augenblick, du bist so schön! Aber er kann nicht bleiben, weil es kein göttlicher sondern menschlicher Augenblick ist. Aber wenn man so etwas erlebt hat, vielleicht mehrfach erlebt hat, dann ist man satt geworden, dann kann man auch, wenn dieses Leben zu Ende geht, gehen, denn man hat gehabt das, was es am schönsten zu vergeben hat. Man muss nicht am Leben kleben.

Ewiges Leben kann nicht ein Leben sein, das erst nach dem Tode beginnt, dann wäre es gerade nicht ewig. Sondern es muss jetzt schon da sein.

Wie bekommt man etwas mit von diesem ewigen Leben? Wie erfahren wir etwas von dieser „Lebensqualität"? Jesus, der es weiß, antwortet: „Das ist das ewige Leben: Dich, den einzigen, wahren Gott zu erkennen" – oder, m.E. deutlicher übersetzt: „Dich, den Einzigen, den Wahren, den Gott" zu erkennen.

Gott, der Eine, der Einzige wahre. Was heißt denn das? Hier lauert schon das nächste Missverständnis: Als käme es darauf an, unter den vielen Göttern, die es da so gibt, den einzigen zu erkennen, der wahrhaft Gott ist. Das ist eine recht komische Vorstellung. Das ist doch lächerlich! Nein, gemeint ist hier: Gott erkennen, das heißt den Einzig Einen, das heißt, den Wahren, die Wahrheit selbst. Das ist damit gemeint.

Sonst machen wir uns eine Vorstellung von irgend so einem Wesen, das zusammen mit anderen Wesen irgendwo so existiert und einfach Gott heißt. Das ist Blasphemie, das ist dumm, und darüber spotten die Ungläubigen mit Recht.

Gott ist der Einzig Eine. Die Einheit selbst, die alles umfasst, alles eint und alles in seiner Verschiedenheit großzügig da sein lässt.

Wie finden wir einen Zugang, nicht nur mit den Gedanken sondern mit dem Herzen zu diesem Wort? Ich denke, dann, wenn uns bewusst wird, dass wir ja so einen Einzigen kennen, der unser ganzes Leben durchzieht und in einer gewissen Einheit zusammenhält - und dieser eine Einzige heisst: Ich. Wir erleben vieles, und das Leben wandelt und wächst, aber wir sind immer dabei. Immer dreht sich`s letzten Endes um mich. Ich bin das Zentrum meines Lebens. Aber dieses eine Zentrum ist ein zerrissenes Zentrum. Es ist ein Zentrum, das nur deswegen Zentrum ist, weil es sich aufgeblasen hat und nicht mehr über den Rand seines Luftballons hinaus schaut und hinaus fühlt. Und deswegen ist es ein Weg von dieser falschen Einheit zur wahren Einheit, nämlich zu Gott, wenn man entdeckt und anerkennt, dass alles andere, was es gibt, ebenso wichtig, ebenso zentral steht wie ich, dass ich nur einer von ganz vielen bin, der mit anderen zusammen da sein darf, auf den nicht alles zentriert ist, sondern der unter anderen da ist, nicht nur äußerlich – das ist leicht gesagt - sondern in der Werthaltung. Wenn man da hin ein Stück kommt, dann bewegt man sich ein Stück auf die eine, alles tragende, generös alles da sein lassende Einheit Gottes zu. Das ist Gott.

Gott der Wahre. Was heißt das? Er ist der Wahre, die Wahrheit selbst.

Wenn hier von Wahrheit gesprochen wird, ist nicht die sehr relative Wahrheit unserer einzelnen Erkenntnisse gemeint, sondern dann ist die eine Wahrheit gemeint auf Grund deren wir überhaupt eine Chance haben, irgendetwas zu erkennen, auf Grund deren die Welt so strukturiert ist, dass sie erkenntnisförmig ist. Und es ist gemeint die Wahrheit, die nicht nur unserem Erkennen voranleuchtet und es trägt sondern auch die Wahrheit, die uns im innersten unseres Selbst trifft - im Gewissen. Auch hier spricht absolute Wahrheit - und das ist Gott!


Gott erkennen, das setzt schon einige Mühe voraus. Darum muss man sich bemühen. Man muss den Weg dorthin gehen! Dann freilich merkt man auch, dass man den Weg nicht bis zum Ende gehen kann , ja auch nicht durchhalten kann, wenn nicht von der anderen Seite her Gott sich zu erkennen gibt, wenn er sich nicht erschließt, sich offenbart in unserem Herzen. Wenn er es aber tut, dann wird die Seele wahrhaftig, dann erhält sie eine innere Einheit, die echt ist, dann wird sie ein lauterer Spiegel Gottes. Dann hat sie jenes Leben, das man ewig nennen kann - ein Stück weit Gottes Ewigkeit in unserem Herzen, hier in diesem Leben.


Und wenn das einmal so ist und wenn man das einmal erlebt hat, glauben darf, dann liegt es nahe, dass die Zukunft auch nach dem Tode eine Zukunft bei Gott sein wird. Ewiges Leben in dem uns vertrauten populären Sinne.


Dann kann man in Ruhe gehen, weil man weiß, dass man aus der Heimat nicht herausfallen kann. Amen.


Gerd Haeffner SJ