St.
Michaelskirche München
6. Juli 2003 (14. Sonntag im Jahreskreis - B,
2 Kor 12,7-10)
Prediger: P. Gerd Haeffner SJ
"Meine Gnade genügt Dir"
Heute will ich, das Evangelium beiseite lassend, etwas über
die Lesung des Tages sagen. Sie ist entnommen dem zweiten Brief, den
der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth, die damals größte Stadt
Griechenlands, geschrieben hat.
1.
Was Ihnen von dieser Lesung vielleicht im Gedächtnis hängen geblieben
ist, das ist der Stachel, der Stachel im Fleisch. Paulus sagt ja: „Es
wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen". Was meint dieser bildliche
Ausdruck? Wir werden nicht klüger, dadurch, dass Paulus ein zweites
Bild beifügt: das vom Satansboten, der ihn Fäusten schlägt. Was ist
das? Seitdem Paulus diese Worte geschrieben hat, rätseln die Menschen,
was er damit sagen – oder verhüllen – wollte. Es könnte eine Krankheit
sein, besonders eine periodisch wiederkehrende Krankheit; denn so etwas
führte man damals auf das Wirken der Dämonen zurück. Oder es könnte
eine peinliche persönliche Schwäche sein, wie z.B. ein Stottern; denn
irgendwo führt Paulus den Vorwurf der Korinther an, er könne zwar stark
schreiben, aber mit seinem Reden klappe es nicht recht. Oder vielleicht
denkt er auch einfach an die Schläge, die er immer wieder bekommen hat.
Fünfmal wurde er nach dem Brauch der Juden ausgepeitscht – mit 40
Hieben weniger einem - auf öffentlichem Platz. Wie auch immer:
Jedenfalls war dieses Leiden so schlimm, dass Paulus dreimal den Herrn
angefleht hat, dass es aufhöre. Er dacht dabei vielleicht an die
Verheißung Jesu: Bittet und ihr werdet empfangen! Aber der Stachel
wurde nicht weggenommen! Seine Bitte wurde nicht erhört. Stattdessen
gibt ihm Gott zur Antwort: „Meine Gnade genügt dir!"
Wie hat ihm Gott das gesagt? Wie hat Paulus diese Botschaft vernommen?
Die naheliegendste Antwort ist wohl, dass er sie aus der heiligen
Schrift (des Alten Testaments) herausgelesen hat und dass sie ihm durch
innere Erfahrung zur persönlichen Gewissheit geworden ist. Zunächst
wird er wohl aufbegehrt haben und gesagt haben: „Nein, sie genügt mir
nicht. Nimm das weg, ich kann damit nicht mehr leben!" Und immer wieder
musste er hören: „Meine Gnade genügt dir!" Und eines Tages konnte er es
vielleicht so innerlich aufnehmen und annehmen, dass er selber aus
vollem Herzen sagen konnte: „Ja, seine Gnade genügt wirklich!" Es war
sicherlich ein längerer Prozess, ein innerer Kampf , der zu diesem
Ergebnis geführt hat. Ich denke hier an eine ähnliche Formulierung, die
Ignatius am Schluss des Exerzitienweges, der ja nun wahrhaftig auch ein
Kampf ist, dem Betenden in den Mund legt: „Herr, ich übergebe dir mein
ganze Freiheit, alles was ich habe. Verfüge darüber, wie du willst. Gib
mir nur deine Liebe und Gnade. Das ist mir genug." Es ist dieselbe
Erfahrung wie bei Paulus! Oder fast zur selben Zeit bei Theresa von
Avila, der Spruch, in dem sie ihre Überzeugung und Erfahrung
zusammenfasst: „Dios solo basta – Letzten Endes kommt es nur auf eins
an: Nur Gott genügt , – und er genügt wirklich."
2.
Was können wir davon auf uns anwenden? Die Antwort ist nicht schwer.
Auch wir kennen solche „Boten des Bösen", solche üble Heimsuchungen,
die uns schädigen, schmerzhaft treffen und demütigen. Da muss einer mit
einem oder mit einem Kollegen oder Chef – oder gar einem Partner –
zusammen leben, mit dem es nicht mehr geht, ja der alle Gelegenheiten
zur Schikane nützt. Oder da hat einer Kinder, die in ihr Unglück
rennen, ohne dass man daran etwas tun könnte. Oder da bemüht sich einer
um moralische Vollkommenheit, und immer wieder haut es ihn zurück,
immer wieder demütigt ihn sein Versagen. Und wie oft hat er gebeten:
„Nimm es von mir!", und es wurde nicht genommen.
„Meine Gnade genügt dir". Gottes Gnade, das ist offenbar etwas von ganz
anderer Ordnung als alle weltlichen Heil- und Trostmittel. Das gilt es,
unter Schmerzen zu lernen und Demütigungen zu lernen, wenn man sich
nicht gegen sie auflehnt, sondern beginnt, sie anzunehmen. Lerne, dass
da unter deinen Schmerzen (oder auch unter deiner Gesundheit) noch
etwas anderes ist: Gottes Gnade, das heißt: Gottes Freude an dir,
Gottes schöpferisches Ja. Es ist immer da. Du hast darüber hinweg
geschaut, und je mehr du dich hinein gebohrt hast in das Leiden am
Stachel in deinem Leben, desto mehr hast Du es vergessen. Aber je mehr
du daran gelitten hast, desto mehr hat sich vielleicht auch diese
Erkenntnis langsam Bahn brechen können. Da ist noch etwas anderes, da
ist noch Gott, da ist noch Gottes Freude an dir. Und wenn ein Mensch
das lernt, dann kann inmitten des Schmerzes und inmitten der Demütigung
ein Jubel aufbrechen, eine Freude, – dann kann sich das Herz öffnen, –
dann kann der Mensch sein Herz gewissermaßen über sich hinaus werfen in
die Weite und Größe Gottes. Dann kann er sagen: Ich hatte ganz
vergessen, dass Gott ja auch noch da ist, und dass er natürlich nicht
bloß „auch noch" da ist, sondern hauptsächlich. Und was nun den Stachel
angeht, natürlich hätte ich ihn immer noch so gerne weg, aber wenn es
nicht sein soll, dann muss er halt ertragen werden, „um Gottes willen".
3.
„Deswegen will ich mich meiner Schwachheiten rühmen", sagt Paulus,
„damit die Kraft Christi auf mich herabkommt". Mit Schwachheit ist
jeder Zustand gemeint, wo mich etwas schutzlos trifft, verwundet und
mir so meine ganze Verletzlichkeit und Erbärmlichkeit wieder einmal
massiv vor Augen führt . Schwachheit heißt, dass ich mich nicht wehren
kann, dass ich unterlegen bin.
Und dessen will sich Paulus nun „rühmen". Dass man sich selbst rühmte,
das war in der Antike eher üblich als heute: dass sich einer hinstellt
und sagt: Schaut her auf mich, wie stark ich bin, wie schön ich bin,
wie gescheit ich bin, da schaut mal her usw. Heute tut man das nicht
mehr so offen, außer bei gewissen Schaukämpfen. Man tut es eher in
verdeckter Weise, aber man tut es immer noch. Immer geht es um Ruhm. Es
geht um etwas, wodurch man sich erheben kann über die anderen, wodurch
man etwas Besonderes ist. Ruhm ist eine Speise, von der man gut zehren
kann, ein Getränk, das Trost spendet. Es geht darum, dass man etwas
hat, worauf man stolz sein kann.
Was soll es nun heißen, dass sich Paulus der Erlebnisse rühmt, in denen
er sich schwach und wehrlos gefunden hat? Ist es verrückt, auf so etwas
zu kommen? Paulus ist stolz auf jene Niederlagen, weil er durch sie
gelernt hat, diese andere Dimension des Lebens zu entdecken, die
„Gnade" heißt.
Und dabei geht es besonders um jene Schwachheiten, die man Versagen und
Sünde nennt. Genau darin hat er die Barmherzigkeit Gottes erfahren und
wäre er perfekt gewesen, hätte er das niemals erfahren können. Deswegen
„rühmt" er sich seiner Niederlagen. Aber genau genommen besteht sein
Ruhm ja nicht in den Niederlagen selbst, sondern darin, dass er
erfahren durfte: Meine eigentliche Kraft liegt nicht in meiner Stärke,
sondern in der Kraft Gottes, die in mir wirkt.
Wenn wir nun fragen: Paulus, großer heiliger Paulus, mein Gott, wie ist
das gegangen, wie hast du das geschafft? Dann würde er sagen:
Geschafft? Du lieber Mensch, geschafft hab ich das doch nicht. Das hat
Gott in mir gewirkt. Und der wirkt auch in dir! Du musst ihn bloß
ranlassen.
Gerd Haeffner SJ